Planungs- und Steuerungskonzepte

In der Praxis werden verschiedene Konzepte zur Planung und Steuerung der Wertschöpfungsprozesse eingesetzt. Sie lassen sich prinzipiell danach unterscheiden, ob der Auslöser einer Aktivität (z.B. ein Produktionsvorgang) ein Plan ist oder ob die Produktion als Reaktion aufgrund eines aufgetretenen Bedarfs erfolgt. Im ersten Fall spricht man vom Push-Prinzip. Im zweiten Fall wird das Pull-Prinzip (Just-in-Time-Produktion) angewandt.

Das Push-Prinzip ist die Basis zahlreicher Softwaresysteme zur Produktionsplanung und -steuerung (PPS-System; im amerikanischen Sprachraum: MRP-System, Material Requirements Planning System). Die in der betrieblichen Praxis eingesetzten PPS-Systeme sind nach einem phasenbezogenen Sukzessivplanungskonzept aufgebaut, das aus verschiedenen Stufen besteht, die nacheinander durchlaufen werden, wobei eine vorgelagerte Stufe die Daten für die nachfolgende Planungsstufe fixiert:

  • Hauptproduktionsprogrammplanung (Primärbedarfsplanung). Auf der Basis vorliegender Kundenaufträge sowie eines evtl. vorgegebenen mittelfristigen aggregierten Produktionsprogramms werden unter Berücksichtigung vorhandener Lagerbestände die Primärbedarfsmengen für absatzbestimmte Erzeugnisse (Endprodukte und Ersatzteile) ermittelt. Das Ergebnis ist ein Hauptproduktionsprogramm (MPS, master production schedule). Allerdings muß man hier eine Einschränkung machen: Viele PPS-Systeme unterstützen die Produktionsplanerin in dieser Planungsphase überhaupt nicht oder nicht ausreichend. Im Ergebnis ist die Produktionsplanerin darauf angewiesen, mit einfacher Unterstützung durch ein Tabellenkalkulationsprogramm einen plausiblen Produktionsplan zu erzeugen.
  • Mengenplanung. Ausgehend von dem zuvor fixierten Hauptproduktionsprogramm werden die Sekundärbedarfsmengen für die untergeordneten Erzeugnisse mit Hilfe von Verfahren der programmorientierten Materialbedarfsplanung ermittelt. Dabei wird auf Informationen über die Erzeugnisstruktur, Lagerbestände sowie geplante Durchlaufzeiten zurückgegriffen. Für manche Produkte kommen auch Prognoseverfahren zum Einsatz. Die Materialbedarfsrechnungen werden begleitet durch einfachste Losgrößenheuristiken. Dabei wird von unbeschränkten Kapazitäten der Ressourcen ausgegangen. Ergebnis dieser Planungsstufe sind grobterminierte Produktionsaufträge für alle Erzeugnisse.
  • Terminplanung. Im nächsten Schritt werden zunächst für jeden Arbeitsgang, der zur Herstellung der Erzeugnisse durchzuführen ist, Start- und Endtermine errechnet. Dabei werden erneut unbeschränkte Kapazitäten der Ressourcen angenommen. Im Anschluß an diese sog. Durchlaufterminierung wird für jede Ressource die resultierende Kapazitätsbelastung ermittelt und der Kapazitätsbedarf dem Kapazitätsangebot tabellarisch oder graphisch gegenübergestellt. Im Rahmen eines Kapazitütsbelastungsausgleichs wird dann versucht, Überlastungen gegebenenfalls durch Terminverschiebungen nichtkritischer Aufträge bzw. auftragsbezogener Arbeitsgänge sowie durch Einplanung von Überstunden zu beseitigen. Dies geschieht meist manuell, wobei die Auswirkungen der Verschiebung eines auftragsbezogenen Arbeitsgangs auf andere Arbeitsgänge desselben Auftrags und auf andere Aufträge wegen der Komplexität des Problems nur unzureichend berücksichtigt werden können.
  • Produktionssteuerung. Hier werden die im unmittelbar bevorstehenden Freigabezeitraum spätestens zu beginnenden Aufträge zur Produktion freigegeben und den Ressourcen zugeordnet. Für jede Ressource folgt eine Auftrags-Reihenfolgeplanung, bei der i.d.R. auf Prioritätsregeln zurückgegriffen wird.

Die grundsätzliche Struktur dieser Vorgehensweise stammt aus den 1960er Jahren und wird bis heute in vielen Unternehmen eingesetzt. Im wesentlichen stellt das beschriebene PPS- bzw. MRP-Konzept die Automatisierung von Bearbeitungsabläufen dar, die früher manuell durchgeführt wurden. Entscheidungsunterstützende Planungsmethoden kommen nur in vernachlässigbarem Umfang zum Einsatz. Das in den PPS-Systemen vorherrschende Konzept der deterministischen Vorwärtsplanung kann man als Push-Konzept bezeichnen, da für die Produktionsaufträge deterministische Start- und Endtermine geplant werden, auf deren Basis sie dann in den Produktionsprozeß "hineingeschubst" werden. Das skizzierte Konzept ist von zahlreichen Autoren kritisiert (siehe z.B. Drexl, Andreas, Fleischmann, Bernd, Günther, Hans-Otto, Stadtler, Hartmut und Horst Tempelmeier, Konzeptionelle Grundlagen kapazitätsorientierter PPS-Systeme, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 47(1994), S. 1022-1045 ) worden. Die genannten Mängel sind systemimmanenter Art und lassen sich auch nicht durch modernste EDV-technische Implementierungen (Einsatz von Datenbanken; graphische Benutzeroberflächen, Internet, KI, usw.) beseitigen.

Im Kern lassen sich folgende Kritikpunkte anführen:

  1. Die vor allem in Unternehmen mit mehreren Produktionsstätten wichtige mittelfristige aggregierte Produktionsprogrammplanung, die insbesondere die Interdependenzen zwischen Produktions- und Absatzplanung erfassen könnte, und die auch die mittelfristigen Produktionsplanungen für die verschiedenen durch Materialströme miteinander verbundenen und voneinander abhängigen Produktionsstätten aufeinander abstimmen könnte, wird nicht unterstützt. 
    In der Primärbedarfsplanung wird i.d.R. der Produktionsplan mit dem Absatzplan gleichgesetzt. Man spricht hier von der Anwendung einer synchronisierten Produktion und verkennt, daß es nicht zwingend optimal sein muß, wenn man die Kapazitätsauslastung von der Absatzplanung abhängig macht. Vor allem bei knappen Kapazitäten wird es sinnvoll sein, daß die Produktionsmengen von den Absatzmengen abweichen und eine Glättung der Ressourcenauslastung erreicht wird.
  2. Die Produktionsauftragsgrößen werden isoliert für jedes End- oder Vorprodukt ohne Beachtung der gegenseitigen Abhängigkeiten bestimmt. Die Basis der Losgrößenplanung bildet die Erzeugnisstruktur (z.B. graphisch dargestellt durch den Gozinto-Graphen), in der die benötigten Ressourcen nicht vorkommen. Die Erzeugnisstruktur wird nach Dispositionsstufen sortiert und die Produkte werden in der Reihenfolge ihrer Dispositionsstufenzuordnung in der Losgrößenplanung bearbeitet, indem man für jedes Produkt ein einfaches Einprodukt-Losgrößenmodell anwendet. Die isolierte Betrachtung der Produkte in der Losgrößenplanung kann systematisch auch so interpretiert werden, daß innerhalb der phasenbezogenen Sukzessivplanung in die Phase der Mengenplanung eine erzeugnisbezogene Sukzessivplanung eingebettet ist.
    Sachlich richtig ist aber nicht eine Losgrößenplanung für Produkte, sondern die Betrachtung der produktspezifischen Arbeitsgänge. Denn ein in der Erzeugnisstruktur dargestelltes Produkt wird üblicherweise in mehreren Arbeitsgängen auf unterschiedlichen Ressourcen bearbeitet. Das folgende Bild zeigt links eine mehrstufige Erzeugnis- und Prozeßstruktur und rechts die dazugehörigen Ressourcen. Sowohl die Konkurrenz der Erzeugnisse um begrenzte Ressourcen als auch die sich aus der Mehrstufigkeit der Erzeugnisstruktur ergebenden kostenmäßigen Interdependenzen werden im herkömmlichen PPS-Sukzessivplanungskonzept nicht beachtet. So muß z.B. man bei der Festlegung der Produktionsmengen für das Produkt 5 beachten, daß dieses auf derselben Ressource produziert wird wie die Produkte 3,4,6 und 7 (Ressourcenkonkurrenz).

    Es überrascht dann auch nicht, daß ein Produktionsplan, bei dessen Aufstellung die Knappheit der Ressourcen nicht berücksichtigt wurde, in der Praxis nicht machbar ist. In der Konsequenz kommt es zu Terminabweichungen und häufigen Umplanungen (Planungsnervosität).
  3. In der Materialbedarfsplanung und in der Terminplanung werden zur Terminierung der Produktionsaufträge ”Plan-Durchlaufzeiten” verwendet. Diese enthalten von der aktuellen Belastung der Ressourcen unabhängige, i.d.R. in den Erzeugnisstammdaten abgespeicherte Schätzwerte für die Wartezeiten, die ein Produktionsauftrag nach seiner Freigabe insgesamt auf die Bearbeitung und auf Transporte warten muß. Der Anteil der organisatorisch bedingten Wartezeiten an der Gesamtdurchlaufzeit eines Auftrags beträgt nicht selten über 85%. Die Wartezeiten werden in der Praxis aus Sicherheitsgründen erheblich überschätzt, was eine verfrühte Auftragsfreigabe, entsprechend erhöhte Zwischenlagerbestände und durch die überhöhte Anzahl von Planungsobjekten in der Terminplanung eine Erhöhung der Komplexität der kombinatorischen Terminplanungsprobleme zur Folge hat. Die auf der Grundlage gegebener Plan-Durchlaufzeiten ermittelten Freigabezeitpunkte der Aufträge, die prinzipiell das Ergebnis der Planung sein müssen, werden als Daten der Planung extern vorgegeben.
    Mit den Plan-Durchlaufzeiten will man die Knappheit der Ressourcen berücksichtigen. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß die Durchlaufzeit eines Auftrags von der Auslastung der Ressourcen abhängt. In Perioden mit geringer Auslastung muß ein Auftrag kaum warten und die Durchlaufzeit ist gleich der Summe aus Rüst- und Bearbeitungszeit. Bei hoher Auslastung dagegen nimmt der Anteil der Wartezeit an der Durchlaufzeit zu. Das grundsätzliche Problem ist hier, daß die Auslastung der Ressourcen und damit die Durchlaufzeit von dem Produktionsplan abhängt, der gerade aufgestellt werden soll und daher noch nicht bekannt ist. Es wird also bei der Vorgabe der Planungsdaten vorausgesetzt, daß das Planungsergebnis bereits bekannt ist.
    Wenn man in der Produktionsplanung die Kapazitäten der Ressourcen mit berücksichtigt, dann kann man auf die Vorgabe von geplanten Vorlaufverschiebungen verzichten.
  4. Das alle Planungsphasen überlagernde, dominierende Problem des herkömmlichen erzeugnisorientierten PPS-Konzepts besteht darin, daß in keiner Planungsphase die begrenzte Verfügbarkeit der Ressourcen systematisch erfaßt wird. Die Planungsergebnisse sind folglich eine Aneinanderreihung heuristischer Improvisationen, deren in Theorie und Praxis beklagte geringe Qualität nicht verwundern kann.
  5. Abschließend sei noch erwähnt, daß die in der Praxis regelmäßig auftretende Unsicherheit bezüglich der Nachfrage und der Durchführung der Produktionsprozesse in dem beschriebenen Konzept der Produktionsplnung und -steuerung vernachlässigt wird.

Die Dekomposition eines komplexen Planungsproblems in handhabbare Teilprobleme ist sinnvoll. Allerdings müssen die Teilprobleme an die Besonderheiten des zu beplanenden Produktionssystems angepaßt werden.  

Siehe auch ...

Literatur

Günther, H.-O. und Tempelmeier, H. (2020). Supply Chain Analytics - Operations Management und Logistik. 13. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.
Tempelmeier, H. (2020a). Production Analytics - Modelle und Algorithmen zur Produktionsplanung. 6. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.
Tempelmeier, H. (2020b).Analytics in Supply Chain Management und Produktion - Übungen und Mini-Fallstudien. 7. Aufl., Norderstedt: Books on Demand.